Zwischen Himmel und Erde befindet sich Wasser – oder vielmehr, das Wasser ist oben im Himmel sowie auf und unter der Erde. Schon immer hat Wasser die Gründungsmythen der verschiedenen Zivilisationen und der großen Religionen inspiriert. Dem Koran zufolge ist Wasser das Element, mit dem Gott Materie erschafft und mit dem er die Toten auferweckt. Wasser gehört auch zu den ägyptischen Plagen in der Bibel und ist die Bestrafung in der Geschichte der Sintflut: In der Genesis teilt Gott am zweiten Tag das Wasser in ein Oben und ein Unten, um festes Land zu schaffen … dann, als er sein Werk rückgängig machen will, schickt er Wasser von oben, in Form einer Sintflut, um die Menschen zu bestrafen. Hier steht das Wasser für Chaos.
Zwischen Wissenschaft und Glauben steht die Geologie der Sintflut für eine eigenartige Suche, die auf der ganzen Welt hypothetische Uferlinien aufspürt. Diese Spuren, die das Wasser im Laufe der Jahrhunderte hinterlassen hat, sind mögliche Zeugen von Katastrophen. Wie das aus der Tiefe aufsteigende Wasser, das in einem rätselhaften Auszug aus dem Koran beschrieben wird : „… und wir ließen die Erde als Quellen hervorsprudeln.“ Oder, aus der gegenteiligen Richtung, vom Himmel: „An jenem Tag teilten sich alle Quellen des gewaltigen Wasser-Abgrundes, und die Schleusen des Himmels öffneten sich“.
Seit etwa zwanzig Jahren erforscht Abdelkader Benchamma die Ursprünge des Universums in seinen morphologischen und symbolischen Komponenten und interpretiert sie immer wieder neu. Indem er verschiedenen Oberflächen Zeichen und Reliefs einschreibt, formalisiert er seine Forschungen und sein Interesse an den Schichten der Welt. Der Künstler haucht seinen Zusammenstellungen Vibrationen und Rhythmen ein. Zu erkennen sind mineralische, pflanzliche und kosmische Formen; sie fließen kraftvoll in die Räume, indem sie den Betrachter überfallen und die Form instabiler Welten annehmen. Man durchquert den Ausstellungsraum der Stiftung dann wie ein zerstückeltes Gebiet, das ebenso geologisch wie mythologisch anmutet. Eine Höhle mit düsteren Fontänen und ein Wasseratlas führen uns zu einer verkarsteten Ebene am Rande ausgetrockneter Planeten, Kometenschweife durchfluten ein außerirdisches Gewässer. Der Künstler komponiert eine fantastische Kartografie, in der wuchernde Zeichnungen neben Atemzügen stehen. Das zeigt er durch das Prisma gezeichneter Skulpturen, durch farbenfrohe Ideen auf Papier, zweifarbige Lithografien und Filmsequenzen, die rieselnde Welten enthüllen, gequält und unaufhörlich strömend. Die Tintenschichten seiner Zeichnungen überlagern und verklumpen langsam – wie die zahlreichen Sedimente, die den Makrokosmos formen.
Eine tellurische, die Erde betreffende Welt zeichnet sich ab, Wasser und Mineralien finden zusammen.
Ausgehend von diesen die Welt überschwemmenden Fluten, die sichtbare Spuren in den Felsen hinterlassen, entwickelt Abdelkader Benchamma seine eigenen Bilder.