Winzige silberne Skulpturen, schwebend auf Stäben, wie schützende Talismane, Amulette oder seltsame kleine Tiere. Chutes Libres (Freier Fall) ist ein von Benoît Pype geschaffenes Ensemble, das auf eine elementare Frage antwortet: Warum hat Wasser keine Form? Als schwer fassbares Element ist Wasser für den Künstler und Bildhauer, der 2011 seinen Abschluss an der École Nationale Supérieure des Arts Décoratifs de Paris machte, in der Tat schwer zu begreifen und schwierig, diesem eine Kontur zu verleihen.
Indem er eine kleine Menge geschmolzenen Zinns aus kontrollierter Entfernung in Wasser fallen lässt, entstehen diese Formen sowie ein Protokoll für die Ausführung. In der Arbeit mit Wasser setzt der Künstler seine begonnenen Überlegungen zum Zufälligen, Zerbrechlichen, unendlich Kleinen und Unwahrnehmbaren fort. Mit ihrer Größe von 2 cm können diese kleinen Objekte in die Hand genommen, betrachtet und langsam entdeckt werden.
In einer Gesellschaft der Hyperbeschleunigung, in der die Sinne und das Denken überbeansprucht werden, lädt das fast Unmerkliche dazu ein, sich unserer Wahrnehmungen wieder bewusst zu werden, einen neuen Rhythmus wieder einzuführen, einen Moment außerhalb der Zeit, ähnlich der Meditation.
Diese Studie über die Zeitlichkeit sowie über das Harmlose, das sich beispielsweise in der Reihe der sculptures de fond de poche (2011) oder géographie transitoire (2011-2018) wiederfindet, wird von einer Reflexion über die Kunstgeschichte begleitet. Denn Benoît Pype möchte die Hierarchie zwischen dem Gelehrten und dem Neuling abschaffen, über die Bezüge zu den sichtbaren Formen. Auch wenn er bei der Auswahl der kleinen Statuen manchmal an Skulpturen aus verschiedenen Zivilisationen ausgewählt hat, sind sie offen für freie Interpretationen. Jeder kann seine eigene Geschichte in sie hineinprojizieren.
Apropos Geschichte, Zufall oder Koinzidenz: Der Künstler entdeckt im Nachhinein, dass es sich bei dem, was er entwickelt hat, um eine Wahrsagepraxis handelt, nämlich die der „Molybdomantie“. Dieser Wahrsage-Brauch, der in zahlreichen Kulturen von Ägypten bis zur Schweiz zu finden ist, liest Omen aus geschmolzenem Blei. Ein Brauch, der vor allem in den germanischen Kulturen an Silvester fortgeführt wurde, wo jeder das kommende Jahr vorhersagen kann.
Das Vorübergehende, das Winzige, die Auguren sind also die verschiedenen Echos, die von diesen winzigen, aber ausdrucksstarken Skulpturen ausgehen.